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Szenische Fassung von Henriette Sehmsdorf nach dem Melodram »Medea« von Georg Benda (1721-1795) und »Verkommenes Ufer / Medeamaterial« von Heiner Müller (1929-1995)

Agnes Lampkin:
Schauspiel

Utz Pannike:
Schauspiel

Wolfgang Hentrich:
1. Violine

Annedore Freyer:
2. Violine

Hanno Felthaus:
Viola

Bernhard Hentrich: Violoncello

S.G.:
Ltg. & Schlagwerke


Uraufführung: 29.05.04 Musikfestspiele Dreden, Schloß Albrechtsberg (Römisches Bad)

weitere Aufführungen:
30.05.04 Dresden, 29.+30.06.04 Societaetstheater Dresden, 8.07.04 Musikfesttage "Rossini in Wildbad", Bad Wildbad
MEDEA.04
Musik-Theater

"Unter den vielen verführerischen, ruchlosen sündigen Frauen, die der westlichen Vorstellungswelt keine Ruhe lassen, ist keine die einen grausigeren Ruf hätte als Medea." In dem modernen Musik-Theaterstück wird die erste eigenständige Bearbeitung der Antike Vorlage von Friedrich Wilhelm Gotter, vertont durch den Komponisten Georg Anton Bender mit der modernsten Bearbeitung von Heiner Müller und der explizit dafür komponierten Musik Schlagwerkmusik von Steven Garling zusammen geführt.




Dresdener Neuste Nachrichten, 1. Juni 2004
„Medea.04“ auf Schloß Albrechtsberg
Im Römischen Bad war „Medea.04" zu erleben. Das ambitionierte Projekt bringt eine szenische Fassung zweier gegensätzlicher dramatischer Werke auf die Bühne. Das Melodram des Mozart-Zeitgenossen Georg Benda setzt sich ganz anders mit dem antiken Stoff von Medea auseinander als Heiner Müller in seinem Medeamaterial „Verkommenes Ufer". Regisseurin Henriette Sehmsdorf nutzt die Spiegel beider Texte, der klassisch aus-drucksstarken Musik Bendas und der aufwühlenden Percussions von Steven Garling, um die antike Heroin nahe zu bringen.
Medea erscheint als zutiefst verletzte Frau, ausgenutzt und missbraucht, die das ihr zugefügte Leid nur noch vergrößern kann. Agnes Lampkin im kurzem Lederkleid, mit burschikosem Griff zur Schnapsflasche, interpretiert die I zur Musik. Sie ist nicht Medea, w Mutter noch Hexe. Aber sie ist glaubhaft in ihrer Verzweiflung, menschlich in ihrem Schmerz. Selten stilisier die Texte, auch wenn sie manchmal das Melodram nah an den Gesang heranführt. Ihr Widerpart und Alter ist Utz Pannike. Im Kittel, mit Kittel, mit Kappe und akzentuiertem Deutsch spiel die Spätaussiedlerin, die heimatlos wurzelte. Überaus kunstvoll interpretiert er die Müller-Texte und bringt so die gesellschaftliche und historisch Dimension der Figur ins Spiel. Sehmsdorf vermag mit ihrem Ausstatter Tom Hornig (Kostüme Sissi Zaccardelli) aus Texten eine theatralische Handlung entwickeln. Das Streichquartett Wolfgang Hentrich und Annedore Freyer (Violine), Hamm Feldhaus (Viola) Bernhard Heinrich (Cello) und der erschöpflich vielseitige Garling spannen den Bogen vom konkreten Vorgang zur sinnfälligen Methapher. Medea.04 hat keine Antwort, initiiert aber Fragen. Johannes Seitz



Sächsische Zeitung, 12. Januar 2004
Nicht Frau, nicht Mann, doch beides.
Werkstattveranstaltung zur „Medea 04"
Es kann spannend sein, nicht nur das Endprodukt eines künstlerischen Prozesses, sondern auch Zwischenetappen kennen zu lernen. Am Sonnabend war hierzu Gelegenheit in der Dresdner "Kleinen Szene". Dort stellten sich die Beteiligten an einer Produktion, die erst im Mai in den Musikfestspielen Premiere haben wird, dem Publikum.
Das Ausgangsmaterial ist nicht nur ein Einzelwerk, sondern eine Verknüpfung zweier Bestandteile. Das ältere Stück ist das Melodram „Medea' des tschechischen Komponisten Georg Johann (Jiri Anton) Benda (1722 - 1795) mit dem Text von Wilhelm Gatter (1746 - 1797), das 1775 in Leipzig uraufgeführt wurde. Das jüngere trägt den Titel „Verkommenes Ufer. Medea-Material" und stammt von Heiner Müller. Der antike Stoff um Medea, wie ihn Euripides aufgezeichnet hat, endet bekanntlich damit, dass Medea ihre beiden Kinder tötet, um sich an Jason zu rächen.
Dieses Motiv des Kindermords, eine männliche Erfindung, wie die junge Regisseurin Henriette Sehmsdorf pointiert behauptet, kam im 18. Jahrhundert als zeitgemäßes literarisches Sujet auf, wovon nicht zuletzt Goethes „Faust' zeugt.
Müllers Material schafft eine zusätzliche Dimension: Er siedelt die Handlung in einem Dritte-Welt-Land an, das von den Kolonisatoren zugrunde gerichtet worden ist. Das Private wird zum Politikum - eine für Müller typische Lösung. Sehmsdorf lässt beide Texte ineinander fließen.
Das ist nicht nur ein legitimes Herangehen. Es braucht nicht einmal deutlich zu werden, welcher Text von Gotter und welcher von Müller ist. Beide können sich, wenn alles gut geht, zu einer neuen Einheit fügen. Medea ist verdoppelt, einmal Frau (Agnes Lampkin), einmal Mann (Utz Pannike), was dem sozialkritischen Blick der Regisseurin entspricht.
Hier geht es nicht um eine Geschlechterfrage, sondern um das Verhalten von Menschen in einem bestimmten sozialen Umfeld. Den beiden Text- und Aktionskomponenten entsprechen auch die beiden Schichten der Musik. Von Bendas Orchesterkomposition gibt es eine von ihm autorisierte Streichquartettfassung, die von dem Cellisten Bernhard Hentrich wenigstens in Umrissen wiedergegeben werden konnte.
Dem steht Steven Garling gegenüber, der mit viel exotischem Schlagwerk sparsame Akzente setzt und eher gliedernd als illustrierend agiert. Nach der Vorstellung einer bisher geprobten Arbeitssequenz stellten sich die Beteiligten unter Moderation durch Isolde Matkey der produktionsleitenden Agentur tristan production den Fragen der Zuschauer und waren auch für kritische Anmerkungen offen. Es wird interessant sein, im Mai das fertige Produkt an den Eindrücken aus dem Zwischenergebnis zu messen. Peter Zacher

Dresdner Neuste Nachrichten 10./11. Januar 2004
Der Stoff veraltet nicht
Werkstatt zu Medea.04 in der kleinen szene
Am 29, und 30. Mai zeigen die Dresdner Musikfestspiele 2004 im Rahmen ihrer so genannten Märchen-Wiese auf Schloss Albrechtsberg „Medea.04": Georg Bendas Melodram „Medea" (in Streichquartettfassung), gekoppelt mit lichter Müllers "Medeamaterial". Regie führt Henriette Sehmsdorf. In der kleinen szene der Sächsischen Staatsoper haben dafür erste Proben begonnen. Dom auch gewährt das Team um die Regisseurin am heutigen Sonnabend in einer öffentlichen Werkstatt erste Einblicke in das Projekt. Aldo Lindhorst sprach mit Henriette Sehmsdorf über „Medea.04".
Henriette Sehmsdorf: Vorkonzerte stimmen auf den Festspieljahrgang ein. Die heutige Werkstatt beleuchtet das diesjährige Thema „Sagenhaftes" sehr konkret.
Wie fiel beim Thema ..Sagenhaftes" die Wahl auf den Mythos Medea?
Wir haben sehr viele Opern angesehen, die sich auf den antiken Sagenkreis beziehen. „Medea" von Georg Benda scheint mir das spannendste unter den wenigen für uns in Frage kommenden Werken zu sein, Einerseits berührt ihr Inhalt eine der unerhörtesten Frauengestalten, andererseits ist die Form des Melodrams etwas wirklich Besonderes in der Musikgeschichte.
Sie verbinden Bendas Werk mit dem „Medeamaterial" von Heiner Müller...
Damit erhält die emotionale Tragödie Medeas eine politische Dimension. Müller hat meines Erachtens am treffendsten formuliert, dass der Zündstoff, der schon immer zu Streit und Kriegen führt, aus einem Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen resultiert.
Wie wird die Kopplung der Stücke umgesetzt?
Ich habe beide Stücke sehr genau geprüft und herausgefunden, dass Bendas Melodram in einigen Punkten zur Ruhe kommt, dort ist Platz für Passagen aus Müllers Material. Es entsteht eine teils gegensätzliche Sicht - hier die sehr emotionale, dort die kalt abrechnende Medea. Und doch tun beide dasselbe, die eine im Rausch, die andere bewusst. Das ist sehr spannend, zumal bei Reiner Müller mehr als zweitausend Jahre Medea-Interpretation mitgedacht sind. Der Stoff veraltet nicht. So unfassbar ein Kindsmord ist, so frappierend ist für mich, dass im gesellschaftlichen Bewusstsein nach wie vor unterschwellig gewertet wird, ob eine Mutter oder ein Vater dieses Verbrechen begeht. Daher besetze ich die Medea bei Müller mit einem Mann, um auf eine gewisse Betroffenheitsebene zu verzichten.
Sie haben für diese Produktion ein freies Ensemble zusammengestellt?
Unter der Produktionsleitung von tristan production & event magement agieren die Schauspieler Agnes Lampkin und
Utz Pannike als Medea 1 und 2. Die musikalische Leitung hat der Cellist Bernhard Hentrich, ein Wiedersehen gibt es
mit dem Percussionisten Steven Garling, der im Vorjahr zum Stummfilm „Kriemhilds Rache" improvisierte.
Sie arbeiten nicht zum ersten Mal als Regisseurin an der kleinen Szene...
Ich habe hier vor genau zehn Jahren als Regiestudentin mein Debüt alt „Bastien und Bastienne“ gegeben. In der Zwischenzeit war ich als Regieassistentin in Lübeck und am Burgtheater Wien tätig, habe eine unvergessliche Prägung durch Ruth Berghaus erfahren dürfen und bin einige Jahre als Dramaturgin mit Regieverpflichtung am Theater Vorpommern gewesen. Hartmut Haenchen, der Intendant der Musikfestspiele, hat mich 2002 als Dramaturgin in sein Team geholt.
Aldo Lindhorst

SAX – Dresdner Stadtmagazin, Mai 2004, Rubrik „Personenkult“
Henriette Sehmsdorf
Regisseurin und Dramaturgin, geboren 1973 in Greifswald
Dresdner Musikfestspiele anno 2003, Graupa, Richard-Wagner-Haus: In dem Museum gastiert Stargast Nike Wagner und brilliert mit einem Vortrag über die künstlerische Seelenverwandtschaft zwischen Gottfried Semper und ihrem Uropa inklusive deren leibhaftigen und nachhaltigen Auswirkungen in Form von Opern bauten. Draußen herrschten erbarmungslose Pfingstsonne und laute Kinder - schließlich war das traumhafte Ambiente namens »Wagnerwiese« familien-tauglich-, drinnen lauschte bei geschlossenen Fenstern eine hehre, überforderte und schwitzende Gesellschaft ehrfürchtig der Meisterin.
Was Nike Wagner nicht wusste: Die jenige, die da selbstlos mit dem Esprit einer Edelpraktikantin die Opernentwürfe der beiden Dresdner Teilzeit-Revoluzzer hochhielt, hat selbst schon jede Menge Musiktheater intus, zwölf eigene Inszenierungen auf teilweise sehr renommierte Bühnen gebraucht und Ihr Studium in Musiktheaterregie an der Musikhochschule »Hanns Eisler« Berlin trotz oder wegen Lehrkräften wie Ruth Berghaus, Peter Konwinschny und Willy Decker mit „sehr gut" abgeschlossen. Henriette Sehmsdorf –als freiberufliche Dramaturgin bei den
Musikfestspielen seit August 2002 im Brot– wiegelt lächelnd ab: „Ich habe das gerne gemacht, die ganze >Wagnerwiese< war doch auch mein Projekt."
Ein sehr gelungenes, welches dieses Jahr als „Märchenwiese" noch publikums-respektive kinderfreundlicher ins SchIoss Albrechtsberg geholt wird. Dort leistet die gebürtige Greifswalderin, die es schon mit einem halbem Jahr mitsamt ihrer sechsköpfigen Pfarrersfamilie nach Berlin-Treptow „direkt in den Schatten der Mauer," erschlug, auch als freischaffende Regisseurin ihren Beitrag: »Medea.04« verknüpft Georg Bendas melodramatisches Meisterwerk „Medea" mit Heiser Müllers „Verkommenes Ufer/Medeamaterial"- begleitet von Percussion und Streichquartett unter musikalischer Leitung von Bernhard Hentrich. Premiere ist am 29. Mai im Römischen Bad, Wiederholung am Tag darauf.
Damit schließt sich ein Kreis, denn ihre aller erste Inszenierung –noch vor der prägenden Zeit der Regieassistenz bei Ruth Berghaus in Stuttgart, bei der sie die zeitlos-ästhetische Symbolhaftigkeit bewundert– war Mozarts »Bastien & Bastienne« vor elf Jahren in der kleinen szene. Und auch der Bogen nach Vorpommern, dessen Stadttheater in Stralsund und Greifswald gleichermaßen alle drei Sparten bedient, blieb gespannt denn nach einer Regieassistenz am Wiener Burgtheater genoss Henriette Sehmsdorf dort von 1999 bis 2002 für drei Jahre »Heimatasyl" als Musikdramaturgin mit Regieverpflichtung.
Nun ist sie in ihrem zweiten Dresdner Frühling, fühlt sich trotz Stress im Endprobenstadium ziemlich wohl und würde die Stadt gern als Standbein für ihre Berufung nutzen - wenn sich eine Möglichkeit böte, weiter hier zu existieren. Doch die Zukunft des renommierten Musikfestes ist bekanntlich eine vage: »Mit dem jetzt beschlossenen Stadtzuschuss kann man vielleicht ein sächsisch-böhmisches Blasmusikfestival veranstalten– für die Musikfestspiele ist es ein Tod auf Raten«, so die 30-jährige, die es sehr ärgert, wenn die Medien kolportieren, der Erhalt der Festspiele ginge auf Kosten von Staatsoperette und Theater junge Generation, deren Kürzung sie ausdrücklich bedauert, und somit Zwist zwischen den Institutionen schüren. Ihr eigener Vertrag läuft eigentlich nur noch bis Juli, ein neuer harrt der Endverhandlung– aber die Wahrscheinlichkeit dass sie Dresden darüber hinaus erhalten bleibt, sei schon ziemlich hoch, gibt sie zu.
Andreas Herrmann
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